Interview
Illustratoren Schweiz: Meet the Members. Thanks @safu_one for the nice conversation for
You can find the complete interview at www.illustratoren-schweiz.ch
«Auch wenn ich das Gefühl habe, dass eine Idee die beste ist, zwinge ich mich nochmals zwei Alternativen zu entwickeln, die in eine völlig andere Richtung gehen.»
Hoi Nino.
Wie bist du Animator und Illustrator geworden? Was hat dich daran begeistert?
Ich war während der Sekundarschule völlig orientierungslos und hatte keine Ahnung, was ich für einen Beruf lernen wollte. Glücklicherweise habe ich von Freunden erfahren, dass es den „Vorkurs“ an der Schule für Gestaltung gibt. Ein Jahr zeichnen. Darauf hatte ich Lust!
Du hast zuerst eine Lehre als Grafiker gemacht. Wie war das und warum bist du davon weg gekommen?
Nach diesem sehr befreienden Jahr am Vorkurs St.Gallen habe ich eine Grafikerlehre angefangen. Es war eine etwas ungewöhnliche Grafiker-Ausbildung. Der Schwerpunkt der Lehre lag auf Multimedia-Design. Ich musste viele 3D-Animationen machen und sehr wenig Typografie. Mir gefiel es sehr, zu animieren, da auf vielen verschiedenen Ebenen gestaltet werden kann. Neben dem Design, der Bewegung und dem Storytelling, kam ich auch mit Sounddesign, Musik und Filmschnitt in Berührung. Fasziniert von den Möglichkeiten der Animation, wagte ich die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Kunst und Design in Luzern im Bereich Animation. Ich hatte Glück und wurde auch ohne Matura „sur dossier“ aufgenommen. Während dem Studium konnte ich einige Kurzfilme produzieren und mich in verschiedenen Techniken üben. 2D- Zeichentrick lag mir besten. Mir gefällt vor allem die Kombination aus Illustration, Bewegung und dem manuellen Handwerk. Als ich mit meiner selbständigen Tätigkeit nach dem Studium begann war mir klar, dass ich beides machen wollte: Animation und Illustration.
Studiert hast du in Luzern aber kommst ja aus St.Gallen und arbeitest in Zürich. Was hat dich dazu bewegt?
Nach Zürich hat es mich eher zufällig verschlagen. Nach dem Studium war ich fast ein Jahr am Reisen und als ich wieder zurück kam, wurde gerade ein WG-Zimmer bei einem guten Freund in Zürich frei. Mittlerweile sind 10 Jahre vergangen und ich lebe immer noch hier, heute aber mit 2 Kids und meiner Partnerin. Ich fühle mich sehr wohl in Zürich. Es ist nicht zu gross und nicht zu klein. Es ist kulturell vielseitig und es leben viele kreative und gleichgesinnte Menschen hier.
Wie entstehen deine Figuren und Geschichten?
Das kann sehr verschieden sein. Bei der Ideenfindung für Kurzfilme steht meistens am Anfang die Skizze einer Figur oder einer Landschaft. In diesem Fall inspiriert mich das Aussehen der Figur zu der Geschichte. Natürlich geht es auch anders rum. Ich habe bereits das Thema für ein Bild oder eine Geschichte und suche dafür die passende visuelle Sprache. Dafür recherchiere ich kreuz und quer in meinen Skizzenbüchern, Zeitschriften, und natürlich dem Internet. Das ist ein sehr schöner und intensiver Prozess. Der Zufall spielt dabei auch eine wichtige Rolle. Oft wird man während dem Skizzieren und Recherchieren auf eine neue Bahn gelenkt. Die Geschichte entwickelt sich dann möglicherweise in eine Richtung, die man sich zuvor nicht vorstellen konnte.
Wie sieht ein gewöhnlicher Arbeitstag bei dir aus?
Ziemlich geregelt 😉
Ich bringe die Kinder in die Kitta und fahre mit dem Velo ins nahe gelegene Atelier, das ich mit 4 Illustratorinnen teile. Um 9:00 geniesse ich starken Kaffee, während ich die Mails checke und den Admin-Kram hinter mich bringe. Dann bis um 12:00 konzentriertes Zeichnen oder Schreiben. Mittagessen mit den lieben Atelier-Kolleginnen. Am Nachmittag gehts ähnlich weiter, meistens mit lauter Musik über Kopfhörer. Wenn die Zeit reicht, mache ich gerne noch ein bisschen Sport bevor um etwa 18:00 der zweite Job zuhause weitergeht.
Wie gehst du bei deinen Projekten vor?
Bei Auftragsarbeiten hoffe ich immer, dass die Kunden ein gutes Briefing abgeben. Meistens schiessen mir schon beim lesen des Briefings verschiedene Bilder und Ideen durch den Kopf.
Auch wenn ich das Gefühl habe, dass eine Idee die beste ist, zwinge ich mich nochmals zwei Alternativen zu entwickeln, die in eine völlig andere Richtung gehen. Idealerweise werden die Stärken meiner Lieblings-Idee durch die Schwächen der Alternativ-Ideen noch deutlicher hervorgehoben und ich bekomme gute Argumente, um den Kunden zu überzeugen.
Hat sich über die Jahre eine gewisse Technik herauskristallisiert?
Ich gehe meistens sehr ähnlich vor bei Auftrags-Projekten. Es hat sich eine gewisse Routine entwickelt. Um mich innerhalb des Projektes selbst abzusichern und um unvorhergesehen Aufwand oder Streitigkeiten mit Kunden zu vermeiden, definiere ich den Ablauf des Projekts immer sehr genau. Deadlines, Korrekturrunden, Abnahmen und Nutzung werden im Voraus kommuniziert und vom Kunden abgesegnet.
Was ist dein Lieblingsmaterial oder Arbeitsgerät? Wie bist du dazu gekommen?
Als Illustrator arbeite ich eigentlich sehr gern Analog. Also auf Papier. Mir gefällt, dass nicht alles perfekt ist und auch Zufälle entstehen. Ich arbeite auch gerne grossformatig und abstrakt. Doch diese Vorlieben habe ich den letzten Jahren sehr vernachlässigt. Da ich oft 2D animiere musste ich mir natürlich einen effizienten Workflow aneignen um konkurrenzfähig zu sein und Projekte professionell abwickeln zu können. Ich arbeite wie die meisten Animatoren auf einem grossen Grafiktablett und kreiere von Hand gezeichnete, digitale Bilder. Diese Art von Zeichnen ist sehr schnell, präzise, flexibel und trotzdem intuitiv. Das Zeichnen macht auf einem guten Grafiktablett sehr viel Spass und eröffnet auch viele Möglichkeiten, die das analoge Zeichnen nicht bietet. Für Auftragsarbeiten ist diese Arbeitsweise für mich ideal. Sie lässt auch das, in unserer Branche schwierige Verhältnis von Aufwand und Lohn, etwas positiver ausfallen.
Für mich bist du eine Maschine 😉 du hast einen Riesen-Output. Wie schaffst du das alles zwischen Arbeit und dem dasein als Familienvater?
Haha! Ich nehme das mal als Kompliment! Seit ich Kinder habe müssen meine Arbeitsstunden produktiv sein. Nicht, dass sie das vorher nicht waren. Doch im Unterschied zu früher, kann ich mir keine Umwege leisten. Früher konnte ich nach Lust und Laune Überstunden machen und die Wochenenden und Nächte durchackern. Das hat mir eigentlich auch ziemlich gut gefallen 😉
Heute habe ich ein klares vorgegebenes Zeitfenster, an das ich mich halten muss. Das Gute daran ist, ich überarbeite mich nicht mehr so wie früher. Das Schlechte: es fehlt manchmal an Zeit für die Entwicklungsphase bei Projekten.
Du und deine Familie, ihr reist gerne. Wie funktioniert das mit der Arbeit?
Meine Partnerin ist auch Illustratorin (Anja Peter). Wir haben uns immer wieder Auszeiten genommen im Sinne von „Artist in Residence“.
Wir waren schon in der Künstler-Wohnung des Kantons St.Gallen in Rom oder in selbst organisierten mehrmonatigen Atelieraufenthalte in Madagaskar, Vietnam oder wie zuletzt mit unserer eineinhalbjährigen Tochter in Indien/Nepal. Der Tapetenwechsel und die neuen äusseren Einflüsse finde ich sehr inspirierend und bereichernd. Sobald die Kinder in die offizielle Schule gehen sind solche lange Auszeiten leider nicht mehr möglich.
Was inspiriert dich?
Andere Kulturen, das Weltgeschehen, die Ambivalenz des Menschen, oder auch ganz banale Alltäglichkeiten können mich inspirieren.
Was für Pleiten und Pannen hast du bei deiner Arbeit schon erlebt?
Zum Glück noch nichts extrem schlimmes. Früher kam es manchmal vor, dass ich einen ganzen Tag gezeichnet habe und dann irgendwie im Zeitstress-Dateinamen-Chaos einen Fehler machte und die Arbeit des ganzen Tages war zunichte. Das war echt nervig! Heute habe ich mir ein gutes Backup-System mit Cloud und Time-Machine eingerichtet.
Was sind deine Herausforderungen?
Die Arbeit mit Farben finde ich sehr anspruchsvoll. Vielleicht sind deshalb viele meiner freien Sachen schwarzweiss. Deshalb bin ich sehr froh um die Möglichkeiten, die mir die digitale Illustration bietet. Bezüglich Farben bin ich digital sehr flexibel und kann spielerisch und mutig viele Varianten ausprobieren.
Wie gehst du mit Schwierigkeiten um? Oder was sind die auf und abs im Leben eines Illustrators?
Eigentlich habe ich sehr selten Motivationsprobleme. Ich liebe es zu zeichnen, zu gestalten und Geschichten zu erfinden. Doch wenn ich über einen längeren Zeitraum nur Auftragsarbeiten machen die unter grossem Zeit- und Effizienzdruck entstehen, sehne ich mich sehr danach, etwas in aller Ruhe und Sorgfalt zu kreieren, das keinen Kundenwünschen entsprechen muss.
So wie wahrscheinlich alle Freischaffenden, sorge auch ich mich um die Auftragslage. Bis jetzt hatte ich zum Glück immer genug Anfragen.
Ich habe noch einige Kurzfilm-Ideen in der Pipeline, die ich bei allfälligen Auftragslücken angehen kann.
Gibt es ein aktuelles Projekt welches dir am Herzen liegt?
Ich habe gerade ein Musik-Video für eine Neo-psychedelia Band aus LA Kalifornien abgeschlossen. Die Band hat mich ausgesucht weil ihnen der Illustration-Stil meines letzten Kurzfilms „L‘Île Noire“ gefiel. Ich hatte grossen Spass, dieses Musik-Video zu realisieren. Ich konnte meinen Stil weiterentwickeln und sehr frei gestalten. Musik-Videos zu animieren ist toll! Der Sound gibt ein solides Gerüst vor, in dem man sich visuell richtig austoben kann. Man kann experimentelle Schnitte zum Rhythmus der Musik machen. Zudem ist man im Storytelling nicht so sehr an Konventionen gebunden, wie das bei Kurzfilmen eher der Fall ist. Die Story muss nicht linear sein sondern darf verspielt, abstrakt und metaphernreich sein. Bei Musik-Videos ist die Toleranz dafür einiges höher als bei Kurzfilmen.
Was sind deine Pläne für den Rest dieses Jahres 2021?
Ich habe gerade einige Projekte abgeschlossen und habe noch zwei, drei kleinere Sachen die anstehen. Ich habe die letzten zwei Jahre sehr viel Auftragsarbeiten gemacht und freue mich nun endlich etwas Luft zu haben um eigene Illustrations- und Kurzfilmprojekte weiterzuentwickeln.
Was für ein Auftrag würdest du dir am meisten Wünschen?
Da gibt es viele! Ich finde es toll, immer wieder Neues auszuprobieren und mich in Bezug auf Stil, Technik und Medium stetig weiterzuentwickeln. Zum Beispiel würde ich sehr gerne einmal ein Graphic Novel oder einen Comic machen. Ich stelle es mir sehr befriedigend vor, weil man schneller ein Resultat hat, als bei animierten Kurzfilmen. Die einzelnen Bilder werden viel länger betrachtet und bekommen dadurch mehr Aufmerksamkeit. Allgemein würde ich gern mehr für Print-Medien arbeiten. Natürlich wünsche ich mir Aufträge für Produkte, Projekte, und Themen, die ich spannend und ethisch unterstützenswert finde. Zum Beispiel konnte ich schon für Greenpeace, SRF Sternstunde Philosophie, für diverse Museen oder Pro Infirmis arbeiten. Solche Projekte begeistern mich. Bezüglich der Umsetzung bevorzuge ich Aufträge, die den Schwerpunkt auf Charakter-Design und Storytelling haben.
Interview
Sarah Furrer, September 2021
Links
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